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auf den Hamburger Weihnachtsmärkten war es gestern stiller als sonst. Am Rathausmarkt schwieg die Musik, der fliegende Weihnachtsmann war nicht zu sehen, dafür Polizisten in Schutzwesten. Doch am Tag nachdem ein Lastwagen in Berlin über den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast war – mittlerweile gibt es zwölf Todesopfer, und man spricht von einem Terroranschlag –, zeigten viele über die Märkte schlendernde Hamburger und Touristen, dass sie sich keine Angst lassen machen wollten. »Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen auch in den nächsten Tagen die Hamburger Weihnachtsmärkte besuchen – ich werde es jedenfalls tun«, hatte Innensenator Andy Grote gesagt. Und Schutzmaßnahmen angekündigt: Mehr Polizei in voller Montur, Absperrelemente, umgeleitete Lastwagen; am Gänsemarkt wurden auch Lkw kontrolliert. Man wolle die islamistische Szene beobachten und Großveranstaltungen wie das gestrige Spiel HSV gegen Schalke 04 besser sichern. Konkrete Hinweise auf geplante Anschläge in Hamburg gebe es nicht, betonte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, aber eine »absolute Sicherheit« eben auch nicht. Vorher hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern gegen das Absagen von Weihnachtsmärkten ausgesprochen. Vor dem Rathaus wehten die Flaggen auf Halbmast, um 18 Uhr gab es auf dem Markt eine Schweigeminute. »Unsere Gedanken und unser tiefes Mitgefühl sind in Berlin«, erklärte eine Sprecherin. Kirsten Fehrs, Bischöfin für Hamburg und Lübeck, mahnte, besonnen zu bleiben und sich nicht vom Terror aufhetzen zu lassen: »In der Bibel heißt es: Lasst euch nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem! Daran wollen wir uns orientieren.« Und so gab es auch Eltern, die mit ihren Mädchen und Jungs zum Kinderpunschtrinken kamen, um ihnen zu zeigen, dass dabei nichts passieren konnte. Kaum zu fassen, welchen Symbolgehalt ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt binnen eines Tages bekommen hat.
»Es entsteht der Eindruck: Die ganze Welt ist verrückt«
Bundeskanzlerin Angela Merkel nennt den Anschlag eine »unbegreifliche Tat«. Wie geht man da mit Unsicherheit, vielleicht auch mit Angst um? Wir sprachen mit Alfons Hamm, Professor für physiologische und klinische Psychologie. Elbvertiefung: Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag gestern auf dem Breitscheidplatz gibt es auch in Hamburg viele, die verunsichert sind. Wie geht man damit um? Alfons Hamm: Die Bedrohung ist einfach nähergekommen, die Menschen haben erhöhte Ängste, das kann man auch nicht verhindern, das ist im Kopf. Man kann es mit dem vergleichen, was nach dem 11. September passiert ist: Die Verunsicherung steigt an, es gibt mehr Misstrauen, und Menschen reagieren mit Vermeidungsverhalten. In Amerika gingen damals die Fluggastzahlen um 30 Prozent zurück. EV: Ist dieses »Vermeidungsverhalten« das Richtige? Wenn man sich unwohl unter Menschen fühlt oder sogar Angst hat rauszugehen – sollte man dem nachgeben? Hamm: Im Gegenteil. Was hilft, ist trotzdem rauszugehen und der inneren Beklommenheit nicht nachzugeben. Man darf sich nicht einschüchtern lassen. Wenn uns die Angst dominiert, schränken wir uns immer mehr ein und werden immer unsicherer. Vermeidung macht alles nur schlimmer. Viel hilfreicher ist es, sich den Situationen auszusetzen. Wenn man vor der Achterbahn steht und Angst hat, ist die einzige Methode, diese Angst loszuwerden, mit der Bahn zu fahren: Die Bedrohung ist ja nur in meinem Kopf, sie ist nicht eingetreten. EV: Aktuell gibt es aber keine absolute Sicherheit, es kann immer etwas passieren. Zumal der Täter von Berlin gestern offenbar noch nicht gefasst war ... Hamm: Selbst wenn ich mich nur in meinem Stuhl bewege, kann es sein, dass mir das Dach auf den Kopf fällt. Das Leben ist im Prinzip jeden Tag eine kleine Mutprobe, die uns stärker macht. Und es ist immer eine Risikoabwägung. Was wir Menschen nicht gut können, ist, mit dem großen Nenner zu rechnen. Unterm Strich sehen wir nur: 12 Tote, 48 Verletzte, aber nicht, wie viele Hunderttausende Menschen in Deutschland jeden Tag auf den Weihnachtsmarkt gehen, ohne dass etwas passiert. Wenn man sich das klarmacht, relativiert sich die Erwartungsangst. EV: Das ist die Theorie. Aber hilft die mir in der Praxis? Hamm: Sehr schwer. Eine Risikoeinschätzung ist in so akuten Phasen schwer zu vermitteln. Es gibt eine gewisse Hysterie im Moment, und soziale Medien verstärken das noch. Dadurch entsteht der Eindruck: Die ganze Welt ist verrückt. De facto ist so viel aber nicht passiert. Nur durch die vielen Möglichkeiten, sich zu informieren, ändert sich die Wahrnehmung. EV: Soziale Medien sind nicht immer hysterisch. Jan Böhmermann beispielsweise twitterte gestern Abend: »Keine Angst. Kein Hass. Keine Angst. Kein Hass. Lasst uns zusammenhalten.« Ist das ein guter Rat? Hamm: Das ist ein guter Rat. Auch in Paris sind die Leute nach den Anschlägen wieder ins Stadion gegangen. Ich finde es sehr gut zu sagen, dass man sich sein Leben nicht einschränken lässt. Man fährt schließlich auch Zug, obwohl es Zugunglücke gibt. Die emotionale Beteiligung bei solchen Anschlägen ist nur stärker, weil Menschen so etwas als besonders ungerecht empfinden. Wenn ich heute nicht auf den Weihnachtsmarkt gehen will, dann ist da eher die Frage, ob ich Lust habe zu feiern. Das geht dann mehr um Pietät als um Angst. |
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