Kiyaks Deutschstunde: Erst Nationalismuskarneval, dann ab ins Bett

 
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Kiyaks Deutschstunde
09.12.2016
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Erst Nationalismuskarneval, dann ab ins Bett
 
Die CDU hat auf ihrem Parteitag beschlossen, die Doppelpassregelung für Kinder von türkischen Eltern wieder abzuschaffen. Das ist schon ziemlich idiotisch.
VON MELY KIYAK

Wann immer sich die Junge Union meldet, weiß man, dass wieder Zeit für Pillepallepopulismus ist. Die Junge Union ist das Bällebad der Christdemokraten. Man tobt eine Runde rum, dann kommen die Alten, Zähne putzen, Pyjama an, ab ins Bett! Das letzte Mal, als die Presse überregional berichtete, ging es darum, die Nationalhymne ins Grundgesetz aufzunehmen. Da sollte dann stehen:

"Die Nationalhymne ist die dritte Strophe des Liedes der Deutschen mit dem Text von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und der Melodie von Joseph Haydn." Ja, Gottchen. Man kann ins Grundgesetz viel aufnehmen. "Die Zahnbürste ist ein Stiel mit Borsten, dessen Verwendung in der Regel im Mund stattfindet." Oder: "Deutschland ist ein Land, das wir Deutschland nennen, weil es sich in Deutschland befindet."

Besonders süß ist an der Jungen Union, dass die Nachwuchskonservativen den Duktus der Alten imitieren. Gut zu sehen an den Jungs: Jackett, Jeans, ehrgeizig gescheitelt und dann die Tweets! "Die Polizei sorgt jeden Tag für unsere Sicherheit. Sie verdient unseren Respekt und unseren Schutz", Hashtag-wir-können-es-kaum-erwarten-eines-Tages-in-echt-so-vertrocknet-zu-reden.

Eine widersinnige Aussage

Der neueste Clou ist, dass sie es geschafft haben, einen Antrag durchzusetzen, der einfach gar nichts bringt. Der Doppelpass für Kinder von türkischen Eltern soll doch nicht erlaubt sein. Weil, so der Vorsitzende Paul Ziemiak in einem Interview im Deutschlandfunk:

"Wer einwandert nach Deutschland und gerne Deutscher werden möchte, von dem verlangen wir grundsätzlich eine Entscheidung."

Da die Doppelpassregelung für Kinder gilt, die in Deutschland geboren sind, ist die Aussage widersinnig. Und da die Entscheidung für so ziemlich alle anderen Angehörigen anderer Nationalitäten nicht gilt, weil sie ihre anderen Pässe behalten dürfen, ist der Satz auch falsch. Und wer sich schon einmal hat einbürgern lassen, weiß, dass es beim deutschen Pass um Deutschkenntnisse, aber vor allem um Geld geht. Ein Mensch, der seit 50 Jahren in Deutschland lebt und wegen seiner jahrzehntelangen Tätigkeit in einer Fabrik keine Zeit, Kraft oder Lust hatte, Deutsch auf Sprachschulniveau zu erlernen, kann nicht Deutscher werden. Und wer als ehemaliger Arbeiter im Rentenalter Grundsicherung erhält, darf auch nicht Deutscher werden. Obwohl er mit der Grundsicherung kein Geschenk erhält, sondern das Geld bekommt, das er als Arbeitnehmer selber in die Sozialversicherungskassen einzahlte.  

Es ist schon alles ziemlich idiotisch und unverständlich. Auch alle anderen Begründungen, Doppelpässe für Kinder von türkischen Eltern zu verbieten, erschließen sich nicht. Weshalb die CDU es nach einem jahrzehntelangen Streit gesetzlich zugelassen hat. Ziemiak meint, dass es darum gehe: "Ja, ich möchte Deutscher sein, weil ich seit Generationen hier lebe."

Kein Bekenntnis

Ziemiak wanderte mit seinen Eltern 1988 aus Polen nach Deutschland ein. Ob oder wie lange er oder seine Eltern die polnische Staatsangehörigkeit behielt, ist nicht bekannt. Aber er wurde eingebürgert, obwohl er nicht seit Generationen in Deutschland lebt. Ein Bekenntnis wurde von ihm auch nicht gefordert. Man hat ihn in der Bundesrepublik willkommen geheißen und fertig aus. Die türkischen Gastarbeiter befanden sich zu dem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik. Sie hatten schon alles schön gemacht und bezahlt, damit es Paul und seine Eltern gut haben. Geschenkt! Türken sind gastfreundlich.

Die Diskussionen um die Doppelpässe der Kinder von türkischen Eltern ist eine Debatte unter vollkommener Abwesenheit von politischer Bildung. Sämtliche der in der Diskussion vorgetragenen Argumente taugen nichts. Wenn es nichts ausmacht, dass Schweizer oder Italiener einen Doppelpass haben, kann es keinen Unterschied machen, ob das Kind türkischer Eltern zwei Pässe hat. Zumal es in der Realität ohnehin so war, dass wer die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, seinen türkischen Pass behalten konnte. Immer und zu jedem Zeitpunkt. Es handelte sich um eine Finesse der türkischen Staatsangehörigkeitsrechtspraxis.

Roland Kochs für Arme

Der Antrag der Nachwuchsnationalisten auf dem Parteitag jedenfalls ging durch. Dann sprachen der Innenminister und die Kanzlerin und riefen die Kinder zur Ordnung. Einen mühsam geschlossenen Kompromiss innerhalb einer Koalition kippe man nicht – das versuchten sie den jungen Roland Kochs für Arme beizubringen. Sie klangen dabei wirklich wie Eltern, die ihren Kindern Werte wie Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit mit mühsam unterdrückter Ungeduld einzutrichtern versuchen. Besonders interessant war dabei die Reaktion Thomas de Maizières, der was Ausländer, Flüchtlinge und Muslime betrifft kaum eine Schmerzgrenze kennt. Wenn man was machen kann, um ihnen das Leben schwer zu machen: Warum nicht? Meistens handelte de Maizière nach dieser Devise. Aber in diesem Fall wirkte er sichtlich genervt.

Es mag sein, dass die Junge Union sich in der Rolle gefällt, Nationalismuskarneval zu feiern. Was sie natürlich nicht verstehen möchten, ist, dass man zwar ständig über Loyalitäten quatscht, aber nie über Mitspracherecht und politische Repräsentation. Eine Demokratie sollte niemals darauf verzichten, Menschen, die seit drei Generationen hier leben, politisch zu integrieren. Man sollte alles tun, um aus diesen stimmlosen Kindern, die de facto keine Ausländer sind, weil sie hier zu Welt kamen, Bürger mit Wahlrecht zu machen. Dummerweise wäre das Letzte, was ein Kind von Türken machen würde, natürlich, die CDU zu wählen.

Scheiß-GEZ und so weiter

Nur innerhalb dieser Logik ist es verständlich, dass sich die CDU nie ein Bein ausriss, um aus türkischen Arbeitern, ihren Kindern und Enkeln Wähler zu machen. Denn einen Pass zu besitzen, bedeutet ein Staatsbürger mit Rechten zu werden. Wenn Türken Deutsche werden, nimmt das keinem Deutschen etwas weg. Es geht ihn eigentlich auch nichts an. Wen man heiratet und welchen Pass man beantragt sind doch Themen sehr persönlicher Natur. In einer Gesellschaft freilich, die permanent das Leben von Türken verhandelt, indem sie schamlos unter Missachtung persönlicher, privater und intimer Grenzen alles zusammenrührt, was sich zusammenrühren lässt, kommt keinem mehr in den Sinn, dass es niemanden etwas angeht, welches Verhältnis man zu seinem Pass hat, solange man nicht mit Hitlergruß durch die Fußgängerzone schlendert, Menschen und ihre Häuser anzündet oder sich anderweitig gegen das Gesetz verhält.

Es ist nämlich erlaubt, einen deutschen Pass zu haben und Erdoğan, Putin oder Gauland zu verehren. Es ist sogar erlaubt, einen deutschen Pass zu haben und seine Gesellschaft zu verachten. Ja, man kann sogar Deutscher sein und Deutschland hassen. Das illustrieren in diesem Land leider immer noch am besten die deutschesten der Deutschen: "Scheißsystem, Scheiß-die-da-oben, Scheißestablishment, Scheißpfaffen, Scheiß-Grün-Versiffte, Scheißlinke, Scheißkanzlerin, Scheiß-korrupter-DFB, Scheiß-GEZ-Zwangsgebühren, Scheißwetter, Scheiß-Blablabla, Nationalhymne geil, Fahne geil, Ausländer raus." So gesehen haben es Türken natürlich etwas schwer, sich kulturell anzupassen und ein auch in diesen Facetten astreines Bekenntnis zu Deutschland abzugeben. Meistens sind es ja Türken, die dieses Deutschland überall in der Welt hochhalten. Trotz Wetter, GEZ und dieser öden Debatten.

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