CHANCEN Brief-Spezial: Das war unser Wissenschaftsjahr | 3½ Fragen an Ernst-Ludwig von Thadden | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Es geht der Wissenschaft gut!

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
Themenmangel hatten wir in diesem Wissenschaftsjahr wahrlich nicht! Bevor wir in die Weihnachtspause gehen, melden wir uns heute mit einem CHANCEN Brief-Spezial: Unter Das ist wichtig haben wir für Sie aufgeschrieben, was jeweils unser wichtigstes Wissenschaftsereignis des Jahres war – was uns monatelang beschäftigt und unseren Blick geweitet hat. (Eine wichtige Meldung zum Nachwuchspakt haben wir dafür in den Personalia platziert.) Jan-Martin Wiarda verkündet Ihnen im Standpunkt eine gute Nachricht. Und die jüngste Erkenntnis von Ernst-Ludwig von Thadden, Rektor der Universität Mannheim, könnte vielleicht uns alle ins neue Jahr hinein tragen.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Gebrochene Biografien
Ich studierte im zweiten Semester Geschichte an der Universität Bonn, als ich in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen wurde. Schon auf dem Auswahlseminar in der Jugendherberge von Bad Neuenahr-Ahrweiler begegnete mir der Satz: »Die Stiftung hat auch Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin gefördert.« Vor über fünf Jahren hörte ich dann bei einem Vortrag davon, dass die Akten der beiden früheren Stipendiatinnen sowie des Alumnus Horst Mahler wissenschaftlich aufgearbeitet werden sollen – Semesterberichte, Briefwechsel, Gutachten. Darüber konnte ich in diesem Sommer mit dem Zeithistoriker Alexander Gallus, dem Herausgeber der Aktenedition, und dem Präsidenten der Studienstiftung, Reinhard Zimmermann, sprechen: ein Gespräch über Begabung, Brüche in Biografien und die Gefahr teleologischer Geschichtsschreibung. Die Auszüge aus den Akten, die wir in den CHANCEN drucken konnten, sind beeindruckende biografische und zeithistorische Zeugnisse. (Manuel J. Hartung)
  
 
 
Streitende Bildungsforscher
Mein wissenschaftliches Ereignis 2016 ist der vorwiegend subkutan geführte Streit zwischen den Bildungsforschern in Deutschland und denen der OECD um die Deutung der aktuellen Pisa-Studie. Die Schüler mussten dieses Mal die Aufgaben am Computer lösen, in den Jahren zuvor mit Papier und Bleistift. Die OECD sieht darin kein Problem. Die deutschen Wissenschaftler hingegen sind sich anhand eigener Untersuchungen ziemlich sicher, dass sich der Wechsel in der Testmethode negativ auf die Ergebnisse der deutschen Schüler ausgewirkt hat. Bei einer derart wirkungsmächtigen Studie keine Kleinigkeit. (Thomas Kerstan)
  
 
 
Academics for Peace
Ein Satz hat mich durch dieses Wissenschaftsjahr begleitet: „We will not be a party to this crime.“ Geäußert am 11. Januar von mehr als tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um gegen die Menschenrechtsverletzungen der türkischen Regierung zu protestieren. Ein Satz nur. So viel Mut. Viele haben ihn mit einer Entlassung bezahlt. Laut Scholars at Risk ist die Zahl an Forscherinnen, Wissenschaftlern und Studierenden, die weltweit bedroht und verfolgt werden, in diesem Jahr explodiert. Insbesondere in Syrien, Irak, Türkei. Die deutsche Scientific Community hat entschlossen und mit großem historischen Bewusstsein reagiert (nämlich in Erinnerung an die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“, gegründet 1933), mit der Philipp Schwartz-Initiative, die von Humboldt-Stiftung, Auswärtigem Amt und weiteren Stiftungen in kürzester Zeit förmlich aus dem Boden gestampft wurde. 20 deutsche Hochschulen sind in diesem Jahr dem Scholars at Risk-Netzwerk beigetreten; die International Offices an den Universitäten helfen, planen, diskutieren. Vieles ist dadurch in Bewegung geraten, institutionell und intellektuell. There are many, who don’t want to be a party to this crime. (Anna-Lena Scholz)
  
 
 
Triumph der Grundlagenforschung
Für mich ist das wissenschaftliche Ereignis des Jahres die „crispr craze“ (Science), also der Wahnsinn um die Genschere CRISPR/Cas9 und Streit zweier Wissenschaftlergruppen um die (womöglich) milliardenschweren Patentrechte. Mit dabei die Direktorin des Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologin, Emmanuelle Charpentier. Die französische Forscherin hatte dem Bakterium Streptococcus pyogenes das Geheimnis seiner Selbstverteidigung entrissen. Heute lässt sich der Mechanismus als Instrument für Präzisionsoperationen am Erbgut verwenden – und nährt die Hoffnung Aids, Krebs und andere Erbkrankheiten zu bekämpfen. Die Entdeckung ist ein Triumph der Grundlagenforschung, der Patentstreit ein Wissenschaftskrimi. (Martin Spiewak)
  
 
 
Best of ZEIT CHANCEN 2016
Fliegen statt Abheben. Die private Zeppelin-Universität kämpft nach Skandalen um eine neue Chance (Jan-Martin Wiarda) – Die dritte Mission. Die Universität braucht ein neues Leitbild: die Multiversität (Manuel J. Hartung) – „Aufmüpfig, rebellisch, links“. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Asta-Vorsitzenden Knut Nevermann (Thomas Kerstan) – Die akademische Ich-AG. 100.000. Lehrbeauftragte, 50.000 Professoren – wann ändert sich dieses Missverhältnis endlich? (Anna-Lena Scholz) – Die neuen Radikalen. Weltweit formiert sich eine neue Studentenbewegung. Was treibt sie an? (Rudi Novotny, Khuê Pham, Marie Schmidt) – Wenn es so weit ist. Während noch die Bomben fallen, plant in Gießen ein syrischer Architekt den Wiederaufbau seiner Stadt. Woher nimmt er Hoffnung? (Anant Agarwala)
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Personen
 
 
   
   
Coming soon: 1.000 neue Tenure Track-Profs
Ende 2015 verkündete Johanna Wanka in der ZEIT ihren Nachwuchspakt: 1 Milliarde Euro für 1.000 Tenure Track-Professuren. 2016 wurde an den Details gewerkelt. Und jetzt kann’s endlich losgehen: Das BMBF hat die Förderrichtlinie veröffentlicht, in der alle Fakten des Programms stehen. Für den Terminkalender: Am 12.01. (Berlin) und 26.01. (Bonn) bietet das BMBF eine Info-Veranstaltung an. Antragsfrist ist der 6. Juni 2017. Beginn der ersten Bewilligungsrunde ist der 1. Dezember 2017; die zweite Runde findet genau ein Jahr später statt. Frohes Antragschreiben allerseits!
 
Brodkorb ist Wissenschaftsminister des Jahres
Das alljährliche Ministerranking hat der Deutsche Hochschulverband aus Protest gegen den neuen Akkreditierungsstaatsvertrag zwar abgesagt (CHANCEN Brief vom 12.12.), ein Wissenschaftsminister des Jahres wurde aber dennoch gekürt: Mathias Brodkorb (Mecklenburg-Vorpommern; inzwischen Finanzminister ebd.; ZEIT-Portrait: „Mr. Njet aus Meck-Pomm“) Ausgezeichnet wird er vom DHV für seine Rolle als Lonesome Cowboy im Akkreditierungsgerangel.
 
Obama ist meistgelesener Wissenschaftler des Jahres
Die Firma Altmetric hat für das laufende Jahr 17 Millionen Namenserwähnungen in 2,7 Millionen Forschungspublikationen ausgewertet und so eine Rangliste der meisterwähnten (vielleicht auch meistgelesenen) Wissenschaftler des Jahres erstellt. Sieger ist: Barack Obama! – und zwar mit einem Aufsatz zur Gesundheitsreform. Third Mission accomplished!
 
Otto von Guericke-Preis
Seit 1997 vergibt die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) den Otto von Guericke-Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Industriellen Gemeinschaftsforschung. Der Preis ist mit 10.000 Euro nominiert und wird vom Wirtschaftsministerium gefördert. In diesem Jahr sind drei Wissenschaftlerteams nominiert: 1. Thomas Hofmann, Siegfried Scherer (beide TU München), Monika Ehling-Schulz (Uni Wien); 2. Ludger Overmeyer, Sarah Uttendorf (beide Institut für Integrierte Produktion Hannover); 3. Angelika Rück, Christine A.F. von Arnim, Björn von Einem (Uni Ulm). Das Gewinnerteam wird heute Abend in Berlin bekannt gegeben.

Eine Uni – ein Buch
Bevor die Deadline allzu nahe rückt, sei hiermit nochmal an die Initiative „Eine Uni – ein Buch“ erinnert, zu der Stifterverband und Klaus Tschira Stiftung in Kooperation mit der ZEIT aufrufen. Die Idee: Die Hochschulen können ein Buch bestimmen, das ein Semester lang im Fokus von Gesprächen, Debatten und sonstigen Hochschulaktivitäten steht. Die zehn besten Ideen werden mit je 5000 Euro gefördert. Einsendeschluss für Ihre Unterlagen: 13. Januar 2017.
 
Jobs
Und schnell noch ein paar interessante Posten aus dem aktuellen ZEIT-Stellenanzeiger: Die TU Berlin und die Universität Wuppertal suchen je eine neue Kanzlerin, die Universität Hohenheim und Medizinische Universität Innsbruck je eine neue Rektorin, die Hochschule für Musik Nürnberg eine neue Präsidentin (alle m/w). Das Personalkarussell ist eröffnet!
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Ernst-Ludwig von Thadden

Professor für Volkswirtschaftslehre und Rektor der Universität Mannheim
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Europa ist nicht selbstverständlich. Es braucht unsere aktive alltägliche Unterstützung. Aufstehen gegen Vereinfacher, Verdränger und Verderber.
 
Die aktuell größte Fehlinvestition der Wissenschaftslandschaft?
Exzellenzini 3.0: Die 533 Millionen Euro pro Jahr sind natürlich eine hoch willkommene Stärkung der deutschen Wissenschaft, aber die Verschwendung bei der Verteilung nicht. Wie viele Tausende von Stunden Arbeit gehen in die Vorbereitung von großen Vorhaben und Versprechen, von denen kaum etwas durchgeführt werden wird? „Past merit“, wie von der Imboden-Kommission vorgeschlagen, ist ein einfaches, gerechteres und billigeres Vorgehen. Man kann nämlich Forschungsleistung recht gut messen...
 
Lektüre muss sein. Welche?
Die gemeinsame Autobiografie von Beate und Serge Klarsfeld. Was für ein Roman, was für Leben, welch Ehrlichkeit, welche Liebe.
 
Und sonst so?
Cornwall – ist es Zufall, dass in der ärmsten Region Englands die Straßen am engsten, der Himmel am hellsten und die Menschen am freundlichsten sind?
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Jan-Martin Wiarda
Es geht der Wissenschaft gut!
Heute möchte ich einen weihnachtlich-positiv stimmenden Ausblick ins neue Jahr wagen. Und zwar in Form einiger Zahlen. Das Fazit gleich vorweg: Es geht uns gut in Deutschland. Allgemein gesprochen und ganz speziell in der Wissenschaft. Damit will ich nicht in Abrede stellen, dass Kettenverträge und Befristungen gerade für junge Forscher eine enorme Belastung bedeuten. Auch die Intransparenz und Willkür, mit der an vielen Hochschulen immer noch Karrieren gemacht werden (oder eben gerade nicht), sind bestürzend.
Doch lassen Sie uns für einen Moment den Blick weiten. Dabei hilft der gerade von der OECD veröffentlichte „Science, Technology and Innovation Outlook 2016“. Im Jahr 2000 hinkte Deutschland im Vergleich der Industrieländer demzufolge ziemlich weit hinterher, was die staatlichen Forschungsausgaben anging: Nur 1,72 Prozent des Gesamtbudgets, deutlich mehr investierten damals unter anderem Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Finnland. 15 Jahre später haben sämtliche zuvor genannte Länder ihre Investitionen in die Wissenschaft (relativ zu anderen Staatsausgaben) empfindlich gekürzt – genauso wie die Vereinigten Staaten, wie Australien und sogar Israel. Deutschland aber ging den umgekehrten Weg. Heute investiert die Bundesrepublik fast 2 Prozent aller staatlichen Ausgaben – und kletterte im Vergleich aller 35 OECD-Staaten auf Platz 7.  
Uns geht es gut, weil wir in Deutschland in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten kapiert haben, dass wir in Zeiten der Globalisierung nichts sind ohne die nötigen Investitionen in Bildung und Forschung. Eine Erkenntnis, die (siehe oben) nicht selbstverständlich ist im Rest der Welt.
Auch wenn die Zeiten schwieriger werden – und das werden sie zweifellos auch bei uns angesichts von weltweit grassierendem Nationalismus, von Kriegen und internationalen Wirtschaftskrisen – wir sind alldem als Gesellschaft nicht schutzlos ausgeliefert. Wir haben und wir fördern schlaue Köpfe, die neue Ideen entwickeln und uns Antworten geben, wie wir in dieser Welt von morgen leben können.
   
   
Sie stehen woanders? Schreiben Sie uns! chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Der Mord an einer Studentin bedroht das Uni-Idyll in Freiburg. Wie geht es nun weiter?
 
Eine Ohrfeige für Pfleger und Erzieher Sebastian Weiner antwortet auf Hamburgs Schulsenator Ties Rabe Die postfaktische Universität Wir lebten in der »post-truth«-Ära, behaupten Wissenschaftler. Damit feiern sie ihre eigene Ohnmacht und geben ihre Rationalität auf. Gedanken zum Wort des Jahres von Bernhard Pörksen Merry Christmas? Dieses Jahr nicht. Die Fotografin Katharina Poblotzki hat junge New Yorker porträtiert und aufgeschrieben, warum sie keine Lust auf Weihnachten haben – weil ihre Eltern Trump wählten

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 

Happy Holidays!
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Danke, dass Sie uns durch das Jahr begleitet haben; wir freuen uns auf anregende Gespräche mit Ihnen in 2017. Kommen Sie gesund durch die Feiertage und lassen Sie es sich gut gehen (am besten mit viel ZEIT, denn die macht natürlich keine Pause). Mit dem CHANCEN Brief melden wir uns wieder am 9. Januar!

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
 
   
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