Fünf vor 8:00: Plötzlich ist das Geld weg - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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 FÜNF VOR 8:00
15.12.2016
 
 
 
 


 
Plötzlich ist das Geld weg
 
Viel zu spät kommt das Gesetz zur Beteiligung der Energiekonzerne am Atomausstieg. Jetzt ist bei ihnen nicht mehr viel zu holen, die fetten Gewinne sind längst verteilt.
VON PETRA PINZLER

Heute schreibt der Bundestag Geschichte. Er wird einen Schlussstrich unter die zivile Nutzung der Kernenergie setzen. Das sogenannte Rückbau- und Entsorgungsnachhaftungsgesetz, das mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen beschlossen werden wird, legt fest, wer was und wie viel für die Beseitigung des radioaktiven Mülls, die Endlagerung und die Verschrottung der Kraftwerke zahlen muss. Damit ist das wohl teuerste Projekt der deutschen Energiepolitik weitgehend rechtlich und mit breitem politischen Konsens abgewickelt. Nur, bezahlt ist das Ganze damit noch lange nicht. Und genau das ist das Problem.

Eigentlich hätte der Atomausstieg ein Modell für die Welt werden können. Weltweit staunte man, als Bundeskanzlerin Angel Merkel 2011 nach dem Unglück im japanischen Fukushima überraschend verkündete, dass Deutschland aus der Kernenergie aussteigen werde. (Nach dem ersten rot-grünen Ausstieg und dem schwarz-gelben Wiedereinstieg zum zweiten Mal, dafür aber definitiv). Überall freuten sich die Kernkraftgegner und Umweltschützer über den deutschen Vorreiter und hofften: Wenn das Land mit der Energiewende nun wirklich ernst macht, dann können andere das kopieren – den Ausstieg aus der Kernkraft, ohne Ausstieg aus der Industrie und mit positiven Effekten für die Umwelt.

Jetzt wissen wir zwar immer sicherer: Ja, der Ausstieg aus der Kernenergie funktioniert und er ist auch bezahlbar. Nur, wenn er so spät wie in Deutschland organisiert wird, kostet er den Staat und damit die Bürger so viel Geld, dass allein diese Summen viele andere Regierungen davor zurückschrecken lassen dürften. Doch was noch schlimmer ist: Der Atomausstieg bindet zugleich über lange Zeit hinweg so viel politische Kraft, dass das klimapolitisch noch wichtigere Ende der Kohleverstromung weit in die Zukunft verschoben wird. Weil dafür nicht mehr genug Energie, Fantasie und Wille vorhanden sind.

Die dicken Gewinne sind längst verteilt

Es ist müßig, nach den Schuldigen für diese Misere zu suchen. Verbockt wurde der Irrsinn schon vor langer Zeit. Schon zu Beginn der friedlichen Nutzung der Atomkraft hätten die Kosten ordentlich kalkuliert werden müssen. Damals schon hätte die Regierung den Energieriesen die Rückstellungen für die Müllentsorgung wegnehmen müssen und nicht erst jetzt, wo die dicken Gewinne längst verteilt sind und der Staat deswegen einen Teil der Entsorgungskosten wird übernehmen müssen. Sonst droht RWE und den anderen Konzernen die Pleite und dann ist dort gar nichts mehr zu holen.

Das Gesetz, dass die Verteilung der Kosten nun festschreibt, wird damit nicht falsch. Aber es ist leider kein Grund zum Feiern. Es ist eben nur die beste von vielen schlechten Lösungen. Es sichert einen Teil des Geldes, es erlaubt den Energieriesen das Überleben und sorgt damit dafür, dass auch sie wenigstens etwas Verantwortung übernehmen. Und doch hinterlässt es nicht nur einen schalen Geschmack. Es zeigt zugleich, wie groß die Macht der Energieriesen heute noch ist.

Nur ein kleines Beispiel: Trotz des generösen und milliardenschweren Entgegenkommens der Politik ziehen die Unternehmen vor der Verabschiedung des Gesetzes nicht alle Klagen zurück, die sie in den vergangenen Jahren gegen die Energiepolitik der Regierung angestrengt haben. Gerade die beiden sehr kostspieligen Verfahren, das über die Brennelementesteuer und das Schiedsverfahren von Vattenfall gegen die Bundesrepublik, laufen weiter – angeblich weil es nach Aktionärsrecht gar nicht anders geht. Doch die Begründung ist nicht nur fadenscheinig, sie ist beschämend. Und sie müsste eigentlich für jeden klar denkenden Bundestagsabgeordneten Grund genug sein, dann ganz einfach mit der Verabschiedung des Gesetzes noch einmal zu warten. Schon um dieses Druckmittel nicht aus der Hand zu geben.

Doch die Politiker, die trotzdem mit Ja stimmen wollen, argumentieren: Der Schlussstrich muss jetzt kommen, noch in dieser Legislaturperiode und mit Stimmen von möglichst vielen Parteien. Nur dann kann das so heiß umkämpfte Thema endlich, endlich Geschichte werden. Deswegen eilt es. Sie alle hoffen darauf, dass die beiden Klagen möglicherweise in den nächsten Wochen noch zurückgezogen werden – wenn die Bundesregierung dann mit den Konzernen über die Details der Abwicklung weiter verhandelt. Und sie verweisen auf ihre vielen kleinen Erfolge.

Die Grünen sind beispielsweise stolz darauf, dass das Geld für die Entsorgung, das jetzt in einen Fonds eingezahlt wird, nur "nachhaltig" investiert werden darf. In der SPD verweist man darauf, dass so endlich die Zukunft auch für die Beschäftigten der Energiekonzerne sicherer wird. Und die CDU-Wirtschaftspolitiker finden sowieso, dass die Konzerne schon genug zur Kasse gebeten worden sind. Warum, wissen sie allein.

Am Ende lässt der ganze Prozess nur eine Schlussfolgerung zu: Die Politiker müssen dafür sorgen, dass sich so ein Schauspiel beim nächsten Ausstieg aus einer Risikotechnologie nicht wiederholt. Daher sollten sie jetzt sicherstellen, dass mit dem Ausstieg aus der Kohle, der irgendwann kommen muss, nicht die nächsten Milliardenkosten auf den Staat und damit den Steuerzahler warten. Denn genau das könnte passieren. Genau wie bei der Atomkraft stecken auch bei der Kohle die Rückstellungen für den Rückbau der Gruben in den Konzernen. Was das bedeutet, wenn es ernst wird, wissen wir ja: Dann ist das Geld weg. Und wir werden wieder mal zahlen.



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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.