Trumps Agenda gegen Schwule Der neue US-Präsident will Diskriminierung von Homosexuellen staatlich legitimieren. Die amerikanische LGBTQ-Bewegung reagiert mit Tatendrang statt Verzweiflung. VON ANNE-CHRISTINE D'ADESKY, KALIFORNIEN |
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| | Straßenprotest nach der US-Präsidentschaftwahl © Bria Webb/Reuters |
Seit der schockierenden Präsidentschaftswahl sind nun drei Wochen vergangen. Donald Trump wird Präsident der Vereinigten Staaten. Doch mit großer Erleichterung kann ich berichten, dass die Verzweiflung der progressiven Amerikaner bereits von einer wachsenden sozialen Bewegung abgelöst wird, die ihrer Empörung über die sich abzeichnende Agenda dieses neuen Präsidenten Ausdruck verleiht. Eine Kombination aus schierer Wut und Angst motiviert Schwule und Lesben, sich politisch zu organisieren. Langjährige Mitglieder der Bewegung, aber auch solche, die sich gerade erst angeschlossen haben, lehnen Trumps ideologische Hinwendung zum weißen Nationalismus ebenso vehement ab wie die Kernaspekte seines politischen Programms: die Privatisierung des amerikanischen Lebens, darunter staatliche Initiativen wie Obamacare und Medicaid, die derzeit die gesundheitliche Versorgung von Millionen Amerikanern sichern.
Bei den Veteranen unter den Aktivisten werden jetzt Erinnerungen an die späten 1980er Jahre wach, als Aids eine ganze Generation schwuler, weißer Männer in Angst versetzte und Millionen LGBTQ-Menschen dazu inspirierte, Proteste gegen die ebenso selbstgefälligen wie homophoben Reagan- und Bush-Regierungen zu organisieren. ACT UP. Fight Hate! Fight Trump! lauten die Wortspiele, die heute den bekannten Slogan der Aids-Bewegung aufgreifen und auch das Twitter-Hashtag Wearetheresistance bezieht sich darauf.
"Ich war diese Woche auf fünf Demonstrationen", sagt Gregg Gonsalves, ein erfahrener Aids-Aktivist in Yale, zwei Wochen nach der Wahl, "es ist das schockierendste Ereignis meines Lebens." Kürzlich hat er eine Bürgerversammlung in Yale organisiert, an der 1.000 Bürger teilgenommen haben. Ähnliche Treffen haben sich in einem halben Dutzend anderer US-Städte abgespielt, weitere sind in Planung. "Vor der LGBTQ-Gemeinde liegt eine entsetzliche Zeit", ergänzt Gonsalves, "die Republikaner sind wie im Rausch über ihren Sieg, uns steht ein totaler Krieg bevor, denn sie dominieren den Kongress, die Gerichte und die meisten Parlamente der einzelnen Bundesstaaten … Sie werden unzählige Bereiche der amerikanischen Gesellschaft umgestalten. Wir müssen uns organisieren."
Mitglieder der Bewegung zitieren die Programme der Republikaner, in denen sich reichlich Hinweise auf zukünftige Rückentwicklungen im Rechtswesen, Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt finden. Die Liste ist lang und macht aus Sicht der Aktivisten deutlich, dass Donald Trumps Agenda sich zweifelsohne gegen Schwule richtet.
Trump hat angekündigt, den Affordable Care Act (ACA) schon am ersten Tag seiner Amtszeit außer Kraft zu setzen. Das Gesetz hat dafür gesorgt, dass 20 Millionen Amerikaner mit geringem Einkommen sowie Menschen mit Behinderungen, die vor der Einführung des Gesetzes über keinerlei Krankenversicherung verfügten, heute staatlich krankenversichert sind. Der designierte Präsident hat nun versprochen, die Mittel, die für das Medicaid-Programm zur Verfügung standen, in staatlich regulierte, pauschale Zuweisungen umzuwandeln. Aktivisten sind besorgt, dass die neokonservativen Blöcke der Republikaner diese Mittel und die Prioritäten kontrollieren werden. Wie wahrscheinlich ist es da schon, dass sie Spritzen-Austauschprogrammen für Süchtigen oder Outreach-Projekten zugutekommen, die Risikogruppen wie Transgender-Menschen, schwule Männer oder Sexarbeiter/innen unterstützen?
"Das alles wird sich gegen jene richten, die ohnehin wenig Schutz erfahren", sagt Toni Young. "Wir sind bereits dabei, uns darauf vorzubereiten", setzt der 53-jährige Afroamerikaner hinzu, der sich in den armen, weißen Gegenden von Appalachia in West Virginia gegen Hepatitis engagiert.
Absage an den Schutz der Geschlechtsidentität
Die Reform des Medicaid-Programmes wird auch Menschen mit HIV in die von jeher mit knappen finanziellen Mitteln ausgestattete staatliche Aids-Medikamentenhilfe (ADAP) zurückdrängen. Die Programme haben lange Wartelisten, und es ist sehr wahrscheinlich, dass jene Betroffenen, die durch die Reformen ihre Versicherung verlieren, keinen Zugang mehr zu lebensrettenden Medikamenten haben werden. "Wenn diese Reformen eintreten, erwarten uns große Probleme im Zusammenhang mit den ADAP-Programmen", sagt Matt Kavanagh, der sich im Rahmen des Global Access Projektes (GAP) im Gesundheitswesen aktiv ist. Er macht sich auch Sorgen darüber, was diese konservative Politik für die Zukunft global orientierter Aids-Projekte bedeuten könnte.
Hinzu kommt die Tatsache, dass die republikanische Partei die längst diskreditierte Reorientierungstherapie für Homosexuelle und sogenannte religious waiver bills unterstützt. Bei religious waiver bills handelt es sich um Gesetze, die es Unternehmen sowie privaten und von religiösen Institutionen getragenen Krankenhäusern erlauben, homosexuellen Menschen aus religiösen Gründen Dienstleistungen vorzuenthalten. In Florida und Texas sind bereits zwei solcher Gesetze verabschiedet worden, ähnliche Entwürfe werden auch andernorts ausgearbeitet. Enge Berater Trumps befürworten auch NC2, das sogenannte North-Carolina-trans-bathroom-Gesetz, das erst kürzlich verabschiedet wurde. Es sieht vor, dass jeder Mensch die seinem biologischen Geschlecht entsprechende Toilette zu benutzen hat – eine Absage an den Schutz der Geschlechtsidentität. Nahezu identische Gesetze werden derzeit in mehreren anderen Staaten von republikanischen Volksvertretern entworfen.
Wird Trump die Homo-Ehe in Ruhe lassen?
"Das kann nur schrecklich werden", sagt Sarah Schulman, eine langjährige lesbische Aktivistin und Autorin. Ihr Buch My American History beleuchtet den Kampf im Zusammenhang mit Aids in den 1980er und 1990er Jahren. "Es ist eindeutig, dass jenseits einer extremen Auslegung der wirtschaftlichen Philosophien Ronald Reagans – also Steuersenkungen für die Reichsten – auch tiefgreifende Veränderungen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Gesetze zum Schutz von Bürgerrechten anstehen. Jeder Schritt in diese Richtung wird sich als enorm schädlich erweisen." Die Anzeichen solch schädlicher Entwicklungen häufen sich bereits. Seit der Wahl wurden beim Southern Poverty Law Center mehr als 700 Hassverbrechen angezeigt. In achtzig dieser Fälle handelte es sich um Verbrechen, die sich gegen LGBTQ-Menschen richteten.
Und die Homo-Ehe? Trump beabsichtigt, neokonservative Richter an den Supreme Court zu berufen und hat dennoch erst kürzlich erklärt, dass es sich, anders als bei Roe vs. Wade, jener Entscheidung des Supreme Courts, die für die Legalisierung von Abtreibungen sorgte, bei der gleichgeschlechtlichen Ehe um ein stehendes Gesetz handele. Offenbar wird er homosexuelle Ehepaare in Ruhe lassen, aber einen republikanischen Angriff auf Roe vs. Wade sehr wohl unterstützen.
Die Aktivisten haben im Kampf um Aids einiges gelernt. "Wir sollten nicht in Panik ausbrechen, aber wir sollten auch nichts auf die lange Bank schieben", erklärt Schulman. "Wir müssen uns den Problemen widmen, sobald sie aufkommen, und zwar auf konkrete Art und Weise. Die Geschichte zeigt, dass theoretische Debatten nicht ausreichen werden, sondern dass die jeweilige Theorie erst aus dem Handeln entsteht."
Das ist genau das, was ich hier, wo ich lebe, also in Oakland, Kalifornien, beobachte. Die Stadt war Schauplatz vieler großer politischer Bewegungen, unter anderem der Black Panthers, Occupy Wall Street, #BlackLivesMatter und nun auch #NoDAPL (No North Dakota Access Pipeline, Anmerkung der Redaktion). Statt sich auf OKCupid herumzutreiben oder sich der Partnersuche zu widmen, treffen sich die Menschen zu Solidarity Sundays, zu denen jeder etwas zu Essen mitbringt. Wie besessen leiten sie E-Mails weiter, die zur Anfechtung der Wahl aufrufen, sie planen neue Aktionen und appellieren an Universitäten, sich als Schutzräume für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Die kommende Zeit mag hart werden, aber die LGBTQ-Bewegung wird ein Orwellsches Zukunftsszenario, wie Trump es heraufbeschwört, nicht tatenlos hinnehmen.
Aus dem Amerikanischen von Sabine Kray
Anne-Christine d'Adesky ist Amerikanerin, freie Journalistin und Aktivistin. Im Juni 2017 erscheint ihr Memoire "The Pox Lover: An activist's decade" in New York and Paris über ihr Leben in den neunziger Jahren. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". © Kawri Juno Photography
+++ Unsere Kolumne "10 nach 8" verabschiedet sich mit diesem Artikel in die Winterpause bis zum Januar. +++
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